Der Osten ist dem Westen beigetreten? Falsch. Im Ergebnis war es genau umgekehrt. Die wiedervereinigte Bundesrepublik ist wie die DDR: autoritär gegen das Volk, verschwenderisch für die Nomenklatura – und dem Untergang geweiht.
von Alexander Heiden
Wenn ein vor der Wende geborener Ossi einen archetypischen Wessi malen sollte, dann käme jemand wie Friedrich Merz heraus: eitel, hochnäsig, unehrlich, mit einer unerträglich belehrenden Attitüde und einer maximal besserwisserischen Rhetorik.
Am 1. April hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa eine neue Erhebung veröffentlicht. Es war kein Aprilscherz. Von 100 Menschen in den östlichen Bundesländern vertrauen nur noch ganze 16 dem Mann, der wohl demnächst Bundeskanzler sein wird.
Fast ist man ein bisschen überrascht: 16 Prozent. Doch noch so viele? Im Westen sind es sogar 28 Prozent, auch das ist ein historisch niedriger Wert, aber darum geht es hier gar nicht. Der Osten Deutschlands hält nichts von Friedrich Merz. Das kann nicht weiter verwundern, denn der CDU-Vorsitzende seinerseits zeigt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass ihm der Osten des gemeinsamen Vaterlandes komplett schnuppe ist. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammen leben kaum mehr Wahlberechtigte als allein in Bayern.
In Berlin gehen Listen mit künftigen Kabinettsmitgliedern herum. Manche leuchten ein, andere nicht. Alle haben sie gemein, dass auf der Unionsseite immer nur höchstens ein ostdeutscher Name steht. Mal ist es Tino Sorge aus Magdeburg, mal Sepp Müller aus Wittenberg – beide jeweils als Gesundheitsminister. Mal ist es auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, als was-auch-immer.
Aber nie ist es mehr als einer. Nun sagt die Zahl der ostdeutschen Minister allein nichts darüber aus, welche Politik für Ostdeutschland die künftige Bundesregierung machen wird. Angela Merkel machte einst einen ostdeutschen CDU-Politiker zum „Ost-Beauftragten“, und man kann auch bei wohlwollendster Betrachtung nicht behaupten, dass Marco Wanderwitz – so hieß der Mann – für seine Landsleute irgendetwas Bleibendes, Positives oder gar Sinnvolles bewirkt hätte.
Aber der eklatante Mangel an ostdeutschen Gesichtern im Umfeld von Friedrich Merz ist eben auch kein Zufall. Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands, die CDU – Partei von Helmut Kohl, dem „Kanzler der Einheit“ – hat den Osten politisch weitgehend aufgegeben.
Halt. Stopp. Kommando zurück. Das stimmt so nicht. Die CDU hat nicht den Osten aufgegeben. Sie hat die Menschen im Osten aufgegeben. Das ist nicht dasselbe. Friedrich Merz beachtet den Osten durchaus. Machtpolitisch bedient er sich nämlich am Werkzeugkasten des früheren DDR-Regimes: Sozialismus statt Freiheit.
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Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Demokratie: Das sind die drei großen Konfliktfelder im deutschen Systemkampf West gegen Ost gewesen. Heute stellen wir fest, dass etwas passiert ist, was bis 1990 unmöglich schien: Alle drei Schlachten hat der Westen verloren.
Die Marktwirtschaft war einmal
Im vergangenen Jahr lag die Staatsquote in Deutschland bei 49,3 Prozent. Mit dem Begriff bezeichnet man den Anteil der Ausgaben aller öffentlichen Haushalte am Bruttoinlandsprodukt, also (vereinfacht gesagt) den Anteil der Staatsausgaben an der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes.
Seit der Wiedervereinigung waren es nie weniger als 43,4 Prozent. Dabei sind nur die Haushalte des Bundes, der Bundesländer, der Gemeinden und der Sozialversicherungsträger mitgerechnet. Noch nicht mitgerechnet sind die unzähligen Staatsunternehmen.
Der Staat ist der größte Arbeitgeber im Land. Insgesamt mehr als 7,2 Millionen Menschen arbeiten in den verschiedenen Bereichen des Öffentlichen Dienstes. Der größte private Arbeitgeber, die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland), beschäftigt bei uns gerade einmal 500.000 Menschen.
Der Staat ist auch der größte Grundstücksbesitzer im Land. Bund, Ländern und Gemeinden gehören geschätzt knapp ein Drittel aller Flächen. Es folgt: die Deutsche Bahn – ein Bundesunternehmen.
Die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft sind nicht mehr zählbar. Allein im Energiesektor interveniert die Regierung jedes Jahr mit geschätzt 1.000 verschiedenen Subventionen. Ganz genau weiß das niemand, die Übersicht ist längst verlorengegangen. Und das, noch einmal, schon allein nur im Energiesektor.
Das kostet natürlich Geld, viel Geld, sehr viel Geld. Das holt man sich bei den Bürgern. Im Jahr 1950 zahlte man bei der Einkommensteuer den Spitzensatz erst, wenn man 79-mal so viel verdiente wie der Durchschnittsbürger. Kein Schreibfehler: das 79-fache.
Heute zahlt man den Höchstsatz bei der Einkommensteuer, wenn man 1,2-mal so viel verdient wie der Durchschnitt. Wieder kein Schreibfehler: das 1,2-fache. Das darf man mit einiger Berechtigung Enteignung nennen, und gelernte DDR-Bürger kennen das Prinzip.
Der Rechtsstaat ist ein Linksstaat
Die Unabhängigkeit der deutschen Justiz ist eine Schimäre. In Wahrheit sind Staatsanwälte weisungsgebunden gegenüber Politikern, und Richter sind in ihrer Karriere abhängig von Politikern.
In der Folge rückt die Justiz immer dichter an die Politik. Beispielhaft für diese fatale Entwicklung ist Stephan Harbarth, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Er ist der erste Rechtsanwalt an der Spitze des obersten deutschen Spruchkörpers. Anwälte vertreten bekanntlich die Interessen von jedem, der sie bezahlt. Das scheint Menschen zu prägen. Man kann jedenfalls nicht sagen, dass Harbarth dem Verfassungsgericht guttut.
Außerdem war der Mann viele Jahre Berufspolitiker, was die Sache noch deutlich verschlimmert. Als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag war er über Jahre einer der allerengsten Vertrauten von Angela Merkel. Die verschaffte ihm zum Dank den Top-Job in Karlsruhe.
Seit Harbarths Amtsantritt versteht sich das Bundesverfassungsgericht erkennbar nicht mehr vor allem als Hüter der Bürgerrechte gegenüber dem Staat, sondern im Gegenteil als juristischer Begleitschutz der Staatsorgane gegenüber dem Bürger. Schlimmstes Beispiel war das Durchwinken der Corona-Maßnahmen durch die Verfassungsrichter (nach einem sicherlich edlen und erhellenden gemeinsamen Abendessen mit Angela Merkel).
Jüngstes Beispiel ist das Durchwinken der offenen Missachtung des Wählerwillens durch Friedrich Merz, der eine Grundgesetzänderung mit historischer Tragweite mal eben von einem schon abgewählten Parlament beschließen ließ, obwohl das neue längst bereitstand. Auch hier hat Karlsruhe nur genickt.
Dazu kommt die unverschämt ideologische Besetzung der Richterposten durch die politischen Parteien. Christine Langenfeld zum Beispiel war einst Vorsitzende des „Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration“. Das ist – entgegen dem Namen – keine Organisation von Experten, sondern von Pro-Zuwanderungs-Aktivisten. Und das ist inzwischen die Qualifikation, mit der man auf SPD-Ticket ans höchste deutsche Gericht kommt.
Wer vorsichtig anmerkt, dass ihn das an die politisierte Justiz der DDR erinnert, der muss damit rechnen, dass ihm geifernde linke Staatsanwälte und willfährige linke Richter morgens um sechs die Polizei zur Hausdurchsuchung auf den Hals hetzen – ironischerweise wegen „Volksverhetzung“.
Ohne jeden Bezug zum eben Geschilderten zitieren wir den ehemaligen Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrats der DDR: „Unsere Juristen müssen begreifen, dass der Staat und das von ihm geschaffene Recht dazu dienen, die Politik von Partei und Regierung durchzusetzen.“ (Walter Ulbricht – Rede im April 1958)
Staatsparteien ersetzen die Demokratie
Mit seiner kategorischen Brandmauer hat Friedrich Merz jetzt auch formal eine All-Parteien-Querfront gegen die AfD geschaffen. Manche nennen das „Volksfront“, aber das ist falsch, weil da weder das Volk noch dessen Interessen berücksichtigt werden.
Aus der soziologischen Gruppe der Berufspolitiker ist über die Jahre eine Kaste geworden, eine eigene Klasse. Das gilt für alle Parteien außer der AfD, die einfach noch zu jung ist und droht, diesen Sumpf trockenzulegen. Die Klasse hat, organisationstheoretisch zwingend, klassenspezifische egoistische Interessen: Machterhalt – und damit zeitlich unbegrenzten Zugang zu den klassenspezifischen Ressourcen. Also zu:
- üppigen Diäten, die weit oberhalb des Einkommens liegen, das man mit der (oft gar nicht vorhandenen) eigenen Qualifikation im normalen Wirtschaftsleben und in der Wertschöpfung mittels eigener Arbeit je erzielen könnte;
- einer fürstlichen Altersversorgung, von der jeder normal berufstätige Bürger nur träumen kann;
- geringen Lebenshaltungskosten, weil Berufspolitiker entweder eingeladen werden oder über ein pralles Spesenkonto verfügen oder beides;
- bequemen Transportmöglichkeiten durch jederzeit verfügbare Dienstwagen und Erste-Klasse-Privilegien, zum Beispiel bei der Deutschen Bahn oder der Lufthansa;
- Befriedigung der eigenen Eitelkeit (oder auch narzisstischer Anlagen) durch eine inhaltsunabhängige, rein positionsbedingte öffentliche Aufmerksamkeit.
Die Brandmauer hat völlig offensichtlich das Ziel, die Klasse der Berufspolitiker in allen Parteien gegen die Bedrohung ihrer Privilegien durch die AfD (und durch das Volk) abzusichern. In Wahrheit konkurrieren unsere Parteien gar nicht mehr untereinander, sondern kämpfen nur noch gemeinsam gegen die Blauen.
Das ist zum einen inhaltlich absurd. Es führt zu dem völlig bizarren Zustand, dass Friedrich Merz seine CDU dicht an die Seite der „Linken“ schiebt, um nur ja möglichst weit weg von der AfD zu sein. Zum anderen ist es formal eine Katastrophe für die Demokratie.
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Aber die Leute merken es. Und im Osten merken sie es schneller. Es ist kein Zufall, dass die AfD im Osten besonders stark ist. Das liegt nicht daran, dass die Menschen dort Nazis wären. Im Gegenteil: Es liegt daran, dass sie den Sozialismus kennen und die Nase gestrichen voll davon haben.
Es ist kein Zufall, dass der Widerstand gegen die Ostdeutsche Angela Merkel ausgerechnet in Ostdeutschland besonders früh begann und dann auch besonders heftig war. Man erinnert sich an Szenen wie diese hier, bei einem Besuch der damaligen Bundeskanzlerin in Dresden im Jahr 2018, als Demonstranten riefen: „Merkel muss weg“ und „hau ab“!
Im Westen gab es so etwas nicht. Der Westen hat sich ergeben. Ihren Erfolg im vereinten Deutschland verdankt die alte SED nicht den wachen und wehrhaften Menschen im Osten, sondern dem dekadenten und selbstgefälligen Westen.
Das jüngste Symbol für den Sieg der SED war die Eröffnung des neugewählten Bundestages durch Gregor Gysi, also durch den letzten Vorsitzenden der Mauermörderpartei. Möglich gemacht wurde das durch die Kumpanei der herrschenden Klasse der Berufspolitiker, vertreten durch Friedrich Merz.
Der Sieg der SED ist strategisch nicht unverdient. Die Stasi-Seilschaften haben einst die bankrotte DDR untergehen lassen – und sich selbst, ihre Interessen, ihr Vermögen und ihren Einfluss rechtzeitig und äußerst gewinnbringend in das wiedervereinigte Land hinübergerettet.
Vom dialektischen Materialismus zum direkten Materialismus, sozusagen. Die dümmeren SED-Schranzen hat die westdeutsche Siegerjustiz für ein paar Jahre ins Gefängnis gesteckt. Die klügeren Hintermänner und -frauen haben nie einen Knast von innen gesehen. Honecker ging nach Chile, Devisen-Hehler Alexander Schalck-Golodkowski ging an den mondänen Tegernsee, Menschenhändler Wolfgang Vogel verbrachte seinen Lebensabend am malerischen Schliersee.
Ex-Stasi-Spitzel Anetta Kahane gründete eine Stiftung, die quasi ausschließlich steuerfinanziert ist und die heute ihre einschlägige Expertise für die Bundesregierung in deren Kampf gegen unliebsame Meinungen der Bürger zur Anwendung bringt. Der Schuster bleibt bei seinen Leisten.
Doch wie einst in der DDR, so stößt das System auch jetzt an Grenzen. Den wachsenden Widerstand des Volkes versucht man, wie einst in der DDR, durch ein immer massiveres autoritäres Vorgehen gegen die Bürger einzuhegen. Das kann eine gewisse Zeit gutgehen – aber keinesfalls ewig.
Vermutlich noch wichtiger ist aber: Die ganze Konstruktion ist pleite. Der herrschenden Klasse geht schlicht die Kohle aus. Auch das kann man eine gewisse Zeit mit allen möglichen Taschenspielertricks kaschieren. Aber die haben eine noch geringere Halbwertzeit als die autoritäre Disziplinierung des Volkes.
Man kann nicht unbegrenzt diejenigen Bürger auspressen, die noch arbeiten und etwas zur Staatskasse beitragen. Irgendwann können auch die nicht mehr – oder sie wollen nicht mehr. Dann hören sie einfach auf zu arbeiten oder verlassen das Land. Das tun jetzt schon Hunderttausende jedes Jahr.
Bei den Schulden ist allmählich auch das Ende der Fahnenstange erreicht. Solange die Bundesrepublik ein wirtschaftlich prosperierendes Land war, konnte man die Finanzquellen an den Kapitalmärkten nahezu beliebig anzapfen. Doch jetzt hat das grün-linke Milieu recht erfolgreich die Deindustrialisierung Deutschlands eingeleitet.
Plötzlich ist nicht mehr sicher, ob wir das Geld, das wir uns pumpen, auch wirklich werden zurückzahlen können. Und plötzlich bekommt auch Deutschland nicht mehr so einfach Geld von überall her wie früher.
Das war auch der Anfang vom Ende der DDR: eine Kombination aus politischem Druck von innen und finanziellem Druck von außen. Trotzdem gibt es immer noch sehr viele Menschen, die all das nicht wahrhaben wollen. Sie weigern sich, die deutlichen Zeichen zu sehen – und wenn sie sie sehen, dann weigern sie sich, sie richtig zu deuten.
Doch es ist, wie es ist. Die SED hat gewonnen. „Die schönste List des Teufels ist es, uns davon zu überzeugen, dass es ihn nicht gibt.“ (Charles Baudelaire – „Der freigiebige Spieler“, 1864)
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