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Nach Sylt-Eklat: Bundesweite Jagd auf Hörer des „verbotenen Lieds“

Nach Sylt-Eklat: Bundesweite Jagd auf Hörer des „verbotenen Lieds“
Der Nobelclub Pony auf Sylt – von hier ging ein Video junger Erwachsener viral

Die Polizei ermittelt bundesweit wegen vermeintlicher extremistischer Verstöße im Zusammenhang mit „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino. Eine gigantische Anzeigenwelle rollt durch Deutschland.

von Nathan Giwerzew

Am Donnerstag verbreitete sich ein Video aus Sylt wie ein Lauffeuer. Darin sind mehrere junge Erwachsene zu sehen, die zum Rave-Signal von Gigi D’Agostinos Partyhit „L’amour toujours“ die alte Neonazi-Parole grölen: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ Jetzt ermittelt der Staatsschutz in Flensburg, eine mögliche Strafbarkeit wird geprüft. Am Freitag ereignete sich in Magdeburg ein ähnlicher Vorfall.

In der Pressemitteilung der dortigen Polizeiinspektion ist zu lesen: Am Freitagabend gegen 20:15 Uhr sei der Polizei von einem Zeugen mitgeteilt worden, „dass aus einem Fahrzeug am Magdeburger Dom lautstark ein bekannter Disco-Hit abgespielt wurde, bei dem ein volksverhetzender Inhalt mitgesungen wurde“. Der Vorwurf des Zeugen, der die Polizei gerufen hatte, wird von der Polizei-Pressestelle im ersten Absatz direkt wiedergegeben. Den Konjunktiv sucht man vergeblich.

Handys als „mögliche Tatmittel“ beschlagnahmt

Dann präzisiert die Pressestelle: Der Mann habe zu der Zeit am Magdeburger Dom gestanden, „als ein PKW mit lauter Musik an ihm vorbeifuhr“. Bei dem mutmaßlich „volksverhetzenden Inhalt“ habe es sich um die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ gehandelt. Daraufhin habe der Zeuge die Magdeburger Polizei informiert, „welche kurz darauf den beschriebenen PKW mit zwei Insassen im Breiten Weg feststellen und kontrollieren konnte“.

Die Polizei habe dann „den PKW sowie die beiden männlichen Insassen wurden daraufhin nach möglichen Tonträgern durchsucht“, woraufhin deren Handys als „mögliche Tatmittel“ beschlagnahmt worden seien. Dann heißt es: „Gegen die beiden Fahrzeuginsassen, zwei Magdeburger im Alter von 22 und 27 Jahren, wurde zudem ein Ermittlungsverfahren zum Verdacht der Volksverhetzung eingeleitet.“ Ob sie sich mit der Verwendung dieses Slogans wirklich strafbar gemacht haben, muss noch geklärt werden.

Volksverhetzung? Keine Strafbarkeit des Slogans

Das Gleiche gilt für die Ermittlungen hinsichtlich des Vorfalls auf Sylt, der den Hype um Gigi D’Agostinos Song erst ins Rollen gebracht hatte. So teilt das Presseportal der Polizeidirektion Flensburg mit: „Die Ermittlungen des Fachkommissariats für Staatsschutz wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dauern an“. Es liege auch der Verdacht vor, „dass durch eine Person der sogenannte Hitlergruß gezeigt wird.“ Der Hintergrund: Einer der Feiernden auf Sylt hatte zum Lied mit dem erhobenen rechten Arm gewunken und mit dem linken eine Art Hitlerbärtchen imitiert.

Ob die Verwendung der Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ allein den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, ist indes fraglich. Der Kölner Rechtsanwalt Carsten Brennecke, tätig bei der Rechtsanwaltskanzlei Höcker, verwies auf dem Kurznachrichtendienst X auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Demnach kann der Slogan „Ausländer raus“ grundsätzlich „eine zulässige Meinungsäußerung und keine strafbare Volksverhetzung (§130 StGB)“ sein. Das Recht auf Meinungsfreiheit ginge vor, sodass die zuständigen Richter im Einzelfall „besonders sorgfältig begründen und die Hintergründe erfassen“ müssten.

Brenneckes Fazit: „Nicht alles, was geschmacklos ist, ist strafbar.“ Beim Verdacht, dass der junge Mann den sogenannten „Deutschen Gruß“ gezeigt habe, könnte das Strafmaß aber höher liegen. Hier müsste zuallererst geklärt werden, ob der Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen tatsächlich erfüllt ist.

Galatasaray-Fans riefen: „Ausländer raus!“

Vorfälle wie in Magdeburg haben sich inzwischen überall im Land ereignet, seit die Medien lang und breit über das Video aus Sylt berichtet hatten. Die ausländerfeindliche Parole ist endgültig zum Meme mutiert. Besonders hervorzuheben ist der Fall von Fans des türkischen Vereins Galatasaray Istanbul in Hamburg und Stuttgart, die laut Medienberichten „Ausländer raus!“ gerufen hatten. Der Anlass: Ihr Club war am Sonntag mit einem Sieg im letzten Saisonspiel türkischer Fußballmeister geworden.

Vielleicht war das eine gezielte Provokation der Fußballfans – möglicherweise, um das Meme zu ironisieren. Oder ein Fall kultureller Aneignung? Aber auch eine wachsende Feindseligkeit zwischen Menschen mit längerem Migrationshintergrund und Menschen, die erst seit Kurzem hier leben, könnte die Ursache sein. Der Chef des Galatasaray-Fanclubs Stuttgart nennt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur den Vorfall in seiner Stadt „beschämend“. Dass feiernde Menschen seither diese Parole gegrölt haben, wird inzwischen auch aus Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bayern Bundesländern berichtet. Tatorte waren demnach meist Diskotheken oder Schützenvereine.

Das Meme ist mehrere Monate alt

Dabei ist das Meme schon mehrere Monate alt. Zuerst wurde über die Kombination von Gigi D’Agostinos Song mit der ausländerfeindlichen Parole im November vergangenen Jahres berichtet, Anlass waren Vorfälle in Mecklenburg-Vorpommern. Dann mehrten sich entsprechende Fälle. Im Januar wurde im „Bericht aus Berlin“ erwähnt, dass Mitglieder der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative die Parole am Rande des Parteitags in Bayern gesungen haben sollen. Eine Woche später gab es laut NDR einen ähnlichen Vorfall in Schleswig-Holstein. Bis zum Vorfall in Sylt soll es insgesamt dreiundzwanzigmal zu solchen Fällen gekommen sein.

Etliche Nutzer sozialer Medien machen sich allerdings mit neuen Memes über den Hype rund um das Sylt-Video lustig. So ist bereits am Freitagabend eine Parodie des Kinofilms „Der Untergang“ verbreitet worden, in der Bruno Ganz Adolf Hitler spielte. Anstatt des ausgebliebenen Angriffs des Generals Felix Steiner ist der Vorfall auf Sylt das Thema. Der Nazi-Diktator nennt darin Gigi D’Agostinos Hit „das verbotene Lied“. Er regt sich insbesondere darüber auf, dass nach Angaben des Generals Hans Krebs der junge Mann seinen „Bart nachgemacht“ und den „Hitlergruß gezeigt“ habe. „Warum grüßt mich dieser Lump – ich kenne ihn doch gar nicht!“, wird Hitler parodiert.

Die Polizei muss indes von Amts wegen alle angezeigten Fälle ernst nehmen, in denen der Verdacht der Volksverhetzung im Raum steht. Und Gigi D’Agostinos Hit sorgt nicht nur für viele Polizeieinsätze, auch auf die Staatsanwaltschaften im gesamten Land dürfte eine Welle an Anzeigen zurollen, die sie werden prüfen müssen.

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