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EU-Erweiterung um jeden Preis

EU-Erweiterung um jeden Preis
Bosnien, Serbien, Ukraine: Die EU will wachsen und wachsen

In Brüssel treibt man die Erweiterung der EU immer schneller voran – die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen könnten brutal werden. Ein demokratisches Votum darüber möchte man vermeiden. Eine Übersicht.

von Max Roland

osnien-Herzegowina soll Teil der EU werden: „Euer Platz ist in der europäischen Familie“, rief EU-Ratspräsident Charles Michel dem Vielvölkerstaat auf dem Balkan entgegen. Das Land gehört damit zur immer länger gewordenen Liste der EU-Beitrittskandidaten: Auch Albanien, Georgien, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, die Ukraine und strenggenommen auch die Türkei haben mehr oder weniger Hoffnung, Teil der Europäischen Union zu werden.

Lange war die EU mit Beitrittsverhandlungen knauserig – man achtete sehr genau darauf, wer Teil dessen werden dürfe, was EU-Außenbeauftragter Borrell mal einen exklusiven „Garten“ von Rechtsstaatlichkeit, Freiheitlichkeit und sozialen Zusammenhalts nannte. Und das auch nicht zu Unrecht: Immerhin bedeutet ein EU-Beitritt Zugriff auf vieles – auf „gemeinsames“ Geld der Staatengemeinschaft und auf die Freizügigkeit des Schengen-Abkommens etwa. Der russische Angriff auf die Ukraine hat das geändert: Plötzlich wächst und wächst die Liste der Beitrittskandidaten, die politische Führung der EU bemüht sich um so ziemlich jedes europäische Land.

Auf die Verwerfungen durch Putins Einmarsch 2022 will man mit einer Redefinierung der EU reagieren: Brüssel soll vielmehr ein kontinentaler Machtblock werden. Um etwa Russlands historischen Einfluss auf dem Balkan zurückzudrängen, will man die Serben, die Montenegriner, Albaner, Mazedonier und Bosniaken zu EU-Europäern machen. Maßgeblich auf Betreiben der Österreicher: Wien erhofft sich, entlang der Grenzen des alten Habsburgerreiches eine neue wirtschaftliche Wohlstandssphäre zu schaffen, dank wirtschaftlicher Integration entlang der Donau. Kein abwegiges Konzept. Deswegen setzt sich Österreich auch insbesondere für eine EU-Mitgliedschaft der Serben ein.

Mit dem Balkan kommt auch ein Haufen Probleme

Aber das ist bisher eher ein frommer Wunsch: Die allermeisten dieser Länder erfüllen die Bedingungen für einen EU-Beitritt noch lange nicht. Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit sind nur zwei dieser Probleme: auch eine generelle wirtschaftliche und strukturelle Schwäche könnte zur Belastung für die EU werden.

Serbien, Albanien und Bosnien-Herzegowina sind die korruptesten Länder Europas: Auf dem jährlichen Korruptionsindex von Transparency International landet Serbien und Albanien auf dem 101., Bosnien und Herzegowina auf dem 110. Rang. Ein nötiger Kulturwandel, um diese massiven Probleme zu lösen, geschähe nicht von heute auf morgen. Immer wieder haben EU-Politiker aber signalisiert, auf bestimmte Regeln auch verzichten zu wollen – im Sinne des neu erwachten, geopolitischen Interesses. Dann würden diese Probleme aber auch unser aller Probleme werden. Wollen wir das? Wir Bürger werden nicht gefragt.

Insbesondere Bosnien-Herzegowina verkörpert die Probleme, die noch immer den Balkan prägen. Das Land ist im Grunde keine authentische Nation, sondern ein Produkt der Jugoslawienkriege – eine Föderation aus muslimischen Bosniaken, aus Kroaten und Serben. Das Land ist gespalten, die nicht anerkannte, aber de facto unabhängige Republik Srpska steht Belgrad und Moskau nahe. Probleme, die mittelfristig zumindest unlösbar erscheinen.

Ukraine: Ein folgenreicher Beitritt

Ein Versprechen, dass die EU-Oberen ebenfalls schon fromm gegeben haben: Die EU-Mitgliedschaft für die Ukraine. Nach dem Krieg gegen Russland werde der osteuropäische Staat Teil der EU werden, wiederholen Charles Michel und Ursula von der Leyen genauso wie Olaf Scholz und andere Politiker mantraartig. Auch hier scheint man bestimmte Probleme, etwa die weit verbreitete Korruption in der Ukraine, zumindest für den Moment zu ignorieren.

Das größte Problem einer ukrainischen EU-Mitgliedschaft ist aber eines, das die EU nicht ignorieren kann. Es ist nicht die Korruption und auch nicht mal der Krieg mit Russland – es ist die ukrainische Landwirtschaft. Der ukrainische Boden ist die fruchtbarste Erde der Welt: Chernozem, auch „Black Soil (schwarze Erde) genannt, ist eine extrem ertragreiche Art von Boden. Das und die günstigen klimatischen Bedingungen in der Ukraine machen das Land zum besten Ort, um Bauer zu sein. Die ukrainischen Bauern können mit ihrer europäischen Konkurrenz, die hochtechnologisiert und -subventioniert ist, ohne Probleme mithalten und sie gar übertrumpfen – und das wäre ein extremes Problem bei einer möglichen EU-Mitgliedschaft der Ukrainer.

Ukrainisches Getreide wird die EU sprengen

Nach einem Beitritt zum Binnenmarkt würde die ukrainische Agrarbranche den europäischen Markt mit ihren Produkten fluten. Einen Vorgeschmack gab es bereits nach dem Beginn des russischen Angriffs: Weil die Ukraine ihr Getreide nicht mehr sicher über die Schwarzmeerhäfen in die Welt exportieren konnte, öffnete die EU ihren Markt dafür und schaffte die Zölle ab. Günstiges Getreide flutete Europa – und blieb in den osteuropäischen Ländern, vor allem in Polen hängen, weil die Masse nicht so leicht exportiert werden konnte. Für polnische Landwirte bedeutete das, dass es auf ihrem Absatzmarkt auf einmal ein Überangebot an Mais und anderem Getreide gab und sie ihre Waren nicht mehr verkauft kriegten. Die Bauern protestierten im ganzen Land, blockierten die Grenze zur Ukraine und hielten Getreidelaster auf.

Eine Art Feldversuch – die Folgen bei einem tatsächlichen EU-Beitritt der Ukraine wären um ein Vielfaches größer. Die Agrarbranche in der EU ist dick subventioniert, auf Betreiben von Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden bildet die gemeinsame Agrarpolitik fast sowas wie ein politisches Rückgrat der Europäischen Union. Nationale Interessen, ob aus Paris, Den Haag oder Madrid, sind fein ausbalanciert. Diese Balance würde durch einen ukrainischen EU-Beitritt komplett gekippt werden. Entweder müssten die ohnehin schon großzügigen Subventionen massiv ausgeweitet werden – oder der europäische Agrarsektor von Spanien bis Polen würde unter dem Konkurrenzdruck schwer leiden, mit allen politischen Folgen. Die Bauernproteste in Deutschland etwa, die am Anfang des Jahres das politische Thema waren, wären ein Witz im Vergleich zu dem, was dann folgen würde.

Zahlmeister Deutschland

Die Vergangenheit zeigt auch: Der Beitritt neuer, strukturschwacher Mitgliedsstaaten wird massive neue Kosten verursachen, die vor allem Deutschland zu tragen haben wird. Bereits jetzt ist Deutschland der mit Abstand größte Nettozahler in den EU-Haushalt und profitiert zeitgleich mit Abstand am wenigsten von ihm. Balkanstaat Rumänien, eines der jüngsten EU-Mitglieder, profitiert nach Polen hingegen am meisten vom EU-Haushalt. Nach dem EU-Beitritt haben viele osteuropäische Länder viel EU-Geld bekommen, vor allem für Infrastruktur und ähnliche Ausgaben.

Bosnien-Herzegowina ist da ein Beispiel: Die Infrastruktur des Landes ist in einem regelrecht erbärmlichen Zustand. Noch immer sind massive Kriegsschäden in Straßen- und Schienennetzwerken präsent, eine Autobahn wird aktuell überhaupt erst gebaut. Bei einem EU-Beitritt würden massive Unionsmittel in Restaurierung und Aufbau dieser Infrastruktur fließen. Klar ist: Vor allem Deutschland würde dann zahlen. Die rechnerischen 237 Euro pro Kopf, die jeder Deutsche bereits jetzt zum EU-Haushalt beiträgt, dürften dann bedeutend steigen. Auch, weil Deutschlands Regierung immer gerne bereit ist, seine Beiträge zum EU-Haushalt aufzustocken.

Jüngst schlug ein Bericht des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta sogar einen neuen EU-Fonds vor, der „mit finanziellen Mitteln ausgestattet ist“, um die Erweiterung zu finanzieren. Konkret, „um die externen Effekte zu bewältigen und einen reibungslosen Erweiterungsprozess zu erleichtern“. Da einige Sektoren und Mitgliedstaaten von künftigen EU-Beitrittsrunden wahrscheinlich stärker betroffen sein werden als andere, „sollte ein geeignetes Finanzierungsinstrument so kalibriert sein, dass es diese Ungleichgewichte unterstützt und ausgleicht“.

Die geplanten EU-Erweiterungen sind also hochproblematisch – doch diese Probleme scheinen in Brüssel nicht wirklich bedacht zu werden. Unter von der Leyen und Michel ist man auf einer völlig anderen Ebene unterwegs, man träumt von der Idee eines geopolitischen Machtblocks. Die EU dient sich selbst – ihrer Vision von sich selbst. Die Interessen der Mitgliedstaaten und ihrer Bürger scheinen eher zweitrangig. Letztere werden auch gar nicht gefragt, ob sie überhaupt wollen, dass jetzt auch Serben, Bosniaken oder Ukrainer Teil ihrer Gemeinschaft werden – und mit Freizügigkeit und Co. bald en masse in ihre Länder, ihre Wohnungs- und Arbeitsmärkte und vielleicht auch ihre Sozialsysteme ziehen könnten. Vergangene EU-Erweiterungen haben da bereits entsprechende, negative Effekte gehabt. Ist es das Wert? Diese Frage muss gestellt werden – in Brüssel wie in den

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